Mit Linux und Open Source Software auf der Suche nach dem Higgs-Boson
Ich hatte vor einigen Jahren die Möglichkeit, an der sehr bedeutenden Forschungseinrichtung DESY in Hamburg eine Führung zu geniesen. Die Führung war sehr beeindruckend, vor allem weil dort echte Grundlagenforschung betrieben wird.
Jedenfalls war das gerade in der Anfangszeit meiner „Linuxkarriere“. Leider war ich damals noch nicht wirklich fachkundig und habe mich darum gar nicht großartig auf eine Diskussion über Betriebssysteme im Forschungsbereich eingelassen. Doch als ich dann in einem Labor tatsächlich einen PC mit einer mir bis dahin unbekannten Desktopoberfläche gesehen habe, konnte ich mir die Frage nicht verkneifen. Die Antwort damals lautete etwa so: „Wir benutzen hier hauptsächlich Linux, weil man damit das meiste so anpassen kann, wie wir es brauchen.“. Ich habe mich damals sehr bestätigt gefühlt, aber nicht weiter nachgefragt, was genau damit gemeint sei.
Heute, etliche Jahre später, interessiere ich mich wieder für dieses Thema. Mich interessiert, warum die Physiker auf Linux setzen und vor allem welche Distribution sie benutzen.
Momentan geht aber eine andere, noch größere Forschungseinrichtung durch die Medien. CERN, das Forschungszentrum in der Schweiz schreibt gerade mal wieder Geschichte: Das Higgs-Boson wurde vermutlich entdeckt. (Anmerkung: Ich habe auf einen willkürlichen Artikel über die (wahrscheinliche) Entdeckung des Higgs-Bosons verlinkt. Eingefleischte Wissenschaftsblog-Leser bzw. Physiker selbst wissen natürlich, dass kein „Gottesteilchen“ (vermutlich) entdeckt wurde, sondern das Higgs-Boson!).
Betriebssysteme
Jedenfalls habe ich bereits vor einigen Wochen eine Anfrage an CERN gestellt. Ich wollte genauer wissen, mit welcher Software die Wissenschaftler dort arbeiten. Meine Anfrage bei der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) ergab, dass tatsächlich eine große Mehrzahl an Computern in der Forschungseinrichtung in Genf/Schweiz mit Linux laufen – Scientific Linux.
Viele Physiker benutzen Mac OS X auf ihren Arbeitscomputern. Die genauen Gründe dafür kenne ich leider nicht. Jedenfalls sind insgesamt 2270 Computer mit diesem Betriebssystem in der IT-Abteilung registriert.
In der Verwaltung wird weiterhin oft auf Windows gesetzt. Dort herrscht normaler Büroalltag, darum kommt dort, wie in fast jedem anderen Büro auch, Windows 7 zum Einsatz.
Interessanter ist dann jedoch die Abteilung der Physiker. Insgesamt laufen in CERN (inkl. Server in den Rechenzentrum) 18.623 Computer mit Scientific Linux. Damit ist diese Linuxdistribution auf über 60% der Computer in CERN installiert! Es handelt sich übrigens um eine eigene Entwicklung der Distribution, die über die Seite http://linux.web.cern.ch/linux/ vertrieben wird.
Selbst entwickelte Software
Scientific Linux basiert auf dem Red Hat Enterprise Linux (RHEL), das man nur in Kombination mit einem Supportpaket erwerben kann. Neben dem CERN verwenden noch weitere große und wichtige Forschungszentren diese Distribution, etwa DESY oder Fermilab.
Alle PCs, die über CERN erworben werden, sind über einen Netzwerkserver bootfähig (Preboot Execution Environment, PXE). Das bedeutet, dass man alle von CERN unterstützten Linux-Distributionen direkt über das Netzwerk installieren kann und nicht einmal einen Installationsdatenträger benötigt.
Darüberhinaus entwickeln die Wissenschaftler die für ihre Versuche notwendige Software meistens selbst. In den allermeisten Softwareprodukten, die in CERN oder seinen Partnern entwickelt wird, handelt es sich um Open Source Software. Für die Entwicklung der Programme werden GNU-Tools verwendet.
Auch die über das Worldwide LHC Computing Grid (WLCG) involvierten Partner entwickeln ihre Software in einer Open Source Lizenz. Die Software wird dann über spezielle Repositories der Wissenschaftsgemeinde bereitgestellt.
Bei CERN wird sehr großer Wert auf freie Software, Hardware und deren Dokumentation gelegt. Dies zeigt sich z.B. daran, dass alle Anleitungen und Informationen zu Scientific Linux auf einer öffentlichen Internetseite dargelegt werden. Außerdem gibt es Kooperationen mit vielen anderen akademischen Einrichtungen bei der Entwicklung einiger Softwareprojekte.
Hier wird auch wieder ein Vorteil von Open Source wieder erkennbar. Die Wissenschaftsgemeinde erstreckt sich über die gesamte Welt. Allein 20 Länder finanzieren das Projekt und senden ihre Physiker dorthin. Jeder der Wissenschaftler hat gleich Zugriff auf den Quellcode der verwendeten Software und kann zu deren Verbesserung beitragen. Die Globalisierung erzwingt und ermöglicht es!
Durch die weltweite Vernetzung der Wissenschaftler ist übrigens vor einigen Jahren dann sozusagen „aus Versehen“ das World-Wide-Web entstanden, aber das nur nebenbei erwähnt…
Momentan ensteht die Plattform sciencesoft.org, auf der die akademischen Einrichtungen ihre wissenschaftlichen Programme besser promoten können. Ganz oben sei hier die EMI (European Middleware Initiative) zu nennen, ein Projekt das von CERN koordiniert wird. Momentan befindet sich sciencesoft.org noch in der Konzeptionierungsphase, soll aber eine Community rund um wissenschaftliche Open Source Programme werden.
Das unten eingebettete, einführende Video über die Notwendigkeit von solchen Plattformen hat EMI erstellt.
PS: Auf Reddit bestätigt das ein potentieller CERN-Mitarbeiter zusätzlich.
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