Endlich eine saubere Tour? Nein, natürlich nicht!
Die Tour de France 2010 ist beendet. Alberto Contador, Spanier, hat sie gewonnen, knapp vor Andy Schleck aus Luxemburg. Und was gibt es zu berichten? Nichts? Von wegen!
Meiner Meinung nach war das eine sehr schöne und sehr spannende Tour! Ich – als bekennender Armstrong-Fan – bin zwar nicht besonders glücklich über dessen Einbruch und sein (für seine Verhältnisse) schlechtes Endergebnis, aber ich fand es sehr beeindruckend, wie er als „Opa“ des Radsports dennoch mithalten kann.
Es gab natürlich auch ein paar strittige Szenen während der Tour, vor allem zwischen den beiden Freunden und Kontrahenten Contador und Schleck. Sie spielten miteinander und straften das restliche Feld mit Nichtachtung. Doch auch das Spiel miteinander war nicht indiskutabel: Während der 15. Etappe passierte Schleck ein folgenschwerer Fehler: Beim Antritt am Berg verschaltete er sich, die Kette sprang vom Blatt und es folgte eine sekundenlange Verzögerung für ihn – die entscheidenden Sekunden. Diese Chance nutzte Contador um Boden gut zu machen. Dieses Verhalten wurde an vielen Stellen in der Presse und im Internet als unsportlich dargestellt und Contador wurde vorgeführt. Man verglich das mit Ullrichs legendären Sturz in einen Straßengraben bzw. mit Armstrongs Sturz als er vor Jahren an Zuschauern hängen blieb, wobei der jeweils andere so lange mit dem Antritt gewartet hat, bis das Sturzopfer wieder aufgeholt hatte. Allerdings ist das nur bedingt miteinander vergleichbar, da Schleck durch einen eigenen Fehler zu diesem Defekt kam. Dennoch: Ein Angriff hätte von Contador nicht kommen müssen…
Schleck war natürlich sauer auf Contador, diesem tat es auch leid und er entschuldigte sich auch verbal bei ihm. Doch die wirklich richtige Entschuldigung folgte bei der 17. Etappe – dem Höhepunkt der Tour, in vielerlei Hinsicht. Zunächst natürlich der geografische Höhepunkt: Col du Tourmalet 2115m. Allerdings war es auch der sportliche Höhepunkt, denn wie Schleck bereits vor dem Etappenstart ankündigte: Wenn er hier nicht genügend Vorsprung auf Contador aufbauen könne, sei Contador der Toursieger, was sich später auch bewahrheitete. Dennoch war es trotz Temperatureinbruch und schlechter Sicht dank Nebel eine sehr schöne, spannende und sportliche Etappe. Knapp 10km vor dem Ziel versuchte Schleck sich vom Feld (und Contador abzusetzen), was allerdings nicht gelang. Zwar konnte er vorm Feld fliehen, Contador konnte er aber dennoch nicht abschütteln. Und wieder haben die beiden ihre Überlegenheit gegenüber den restlichen Fahrern im Feld demonstriert: scheinbar mühelos setzten sie sich vom hechelnden Feld ab, das aufgrund des scharfen Tempos schon stark dezimiert war. Sogar sehr starke Fahrer wie Alexander Winokurow konnten sich nicht mehr im Peloton halten und mussten sich zurückfallen lassen.
Der bis zu diesem Zeitpunkt sehr starke Fahrer (und über lange Zeit führender Fahrer der Etappe) Kolobnew wurde von den beiden überfahren. Ich finde diese Leistung unglaublich beeindruckend, wie zwei Fahrer die ganze Zeit im Hauptfeld fahren und als plötzlich alle aus den letzten Löchern pfeifen, legen sie nochmal einen Gang zu und demonstrieren kurz vor dem Ende der Tour ihre unglaubliche Überlegenheit. Meiner Meinung nach hat während des Anstiegs Schleck die bessere Figur gemacht. Er fuhr über weite Teile vorne, auch das Pokerface von Contador lies mehr Leiden durchsickern als Schlecks. Auch, bzw. besser gesagt: gerade, der Angriff Contadors zeigte mir, dass Schleck immernoch hellwach war und weitere Energiereserven vorrätig hatte, und das obwohl er selbst keinen Angriff mehr versuchte. Kurz vor dem Ziel sprachen die beiden Kontrahenten kurz miteinander (auf englisch, wie Schleck in einem Interview verriet). Über den Inhalt lässt sich nur spekulieren, allerdings ging es meiner Meinung nach um den Etappensieg, den Contador freiwillig an Schleck abtrat – als Wiedergutmachung für seinen Abstauber.
Es scheint, als hätte während dieser Tour die sportliche Leistung der Athleten überwogen. Oder scheint das nur so? Selbstverständlich gab es die alljährlichen Anschuldigungen gegen Lance Armstrong – diesmal von keiner französischen Sportzeitung, sondern vom offiziell aberkannten Toursieger Floyd Landis. Aber ansonsten gab es keine Dopingmeldungen weit und breit! Die neue Generation des Radsports hat sich bezahlt gemacht. Die Dopingsünder der vergangenen Jahren haben sich bekannt und sind (teilweise sogar freiwillig) aus dem Profiradsport ausgetreten, die jungen Fahrer bekamen freies Feld und konnten mit sportlichen Leistungen überzeugen. Natürlich mag das keiner glauben, denn Radsport ist verteufelter Sport, unfair, hässlich! Das gibt es nicht, dass hier nicht gedopt wurde, das darf nicht wahr sein! Irgendjemand muss gedopt sein, immerhin ist es Radsport!!elf!!eins!!! Es wurde noch keiner entdeckt? Na, dann muss es ein neues Mittel geben, das noch niemand nachweisen kann! Eigenbluttransfusion! EPO, EPO!! Gerade die Medien suchen zwanghaft nach Sündern (passender Audiokommentar von Holger Gerska [Warum Milram aussteigen will])
Doch, liebe Kritiker, bis jetzt ist das so! Und ich glaube auch nicht, dass ein bekannter Radsportler noch mit ernstzunehmenden Dopingvorwürfen beworfen wird. Diese Zeiten sind vorbei! Wir dürfen wieder den Fernseher anschalten, wenn eine Radsportveranstaltung übertragen wird. Wir dürfen wieder jubeln, wenn unser Lieblingsradler gewinnt. Wir dürfen uns wieder die Schlusssprints an Etappenzielen ansehen, Zeiten addieren um das Gesamtklassement noch vor Zieleinfahrt abzuschätzen. Wir dürfen wieder öffentlich sagen, dass Radsport schön ist. Wir müssen uns nicht mehr hinter den Landschaftsaufnahmen der französischen Kamerateams im Hubschrauber verstecken. Wir dürfen wieder stolz darauf sein, eine faire Sportart zu verfolgen!
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